Statt eines Editorials Wenn ,deutsch' die Antwort ist, was war dann die Frage?
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Abstract
Glauben wir Selbstbeschreibungen der Germanistik, so hat sie ihre Geburt aus dem Geiste des
deutschen Nationalismus längst u?berwunden – und ihre tiefe Verstrickung in den
Nationalsozialismus glänzend aufgearbeitet. Zumeist feiert sie sich dafu?r; doch wird
inzwischen von einigen namhaften Vertreter_innen des Faches auch Bedauern u?ber eine
vermeintliche Auflösung des deutschen Kerns jener angeblichen Kultur geäußert, aus der die
größte Barbarei der Menschheitsgeschichte hervorging. Ausgangspunkt der 10. Ausgabe von
Undercurrents – Forum fu?r linke Literaturwissenschaft mit dem Schwerpunkt „Nationalismus
und Germanistik“ ist eine heuristische Skepsis gegenu?ber der germanistischen
Selbsterzählung, hat doch das, was Wissenschaftler_innen u?ber sich selbst sagen, nicht nur
Donna Haraway zufolge meist kaum etwas mit dem zu tun, wie sie handeln. Wir möchten fu?r
eine bessere Analyse der Lage gar vorschlagen, probeweise die Perspektive umzukehren und
zu fragen: Was trägt die neuere und neueste Germanistik zum deutschen Nationalismus bei?
In diesem Heft zeigt der Beitrag von Markus Liske, wie die identitäre Forderung einer
„deutschen Leitkultur“ auf eine Illusion nationaler Kultur rekurriert, die, wenn auch weiterhin
akademisch gepflegt, von allen gesellschaftlichen und literarischen Realitäten Lu?gen gestraft
wird. Klaus Birnstiel legt anhand von Dieter Borchmeyers neuer Publikation Was ist deutsch?
die Aporien einer Germanistik offen, die sich auf die Suche nach einer nationalen Mission
begibt, ohne dass doch selbst ihre liberaleren Vertreter_innen die Arbeit an der eigenen
Vergangenheit bereits in dem Maße geleistet hätten, wie sie es gerne fu?r sich in Anspruch
nehmen.