Call for Abstracts: "Mitstreiten. Literarische Solidarität und anti-rassistische Verbündungen" Workshop und Ausgabe (bis 1. November 2023)
Veröffentlicht am 2023-08-21
(For english version see below please.)
Call for Abstracts (01.11.2023) Workshop Mitstreiten. Literarische Solidarität und anti-rassistische Verbündungen
Literaturforum im Brecht-Haus Berlin, 22./23.02.2024
In der Performance Alle Erinnerungen fließen ins Meer (und wieder raus) spaziert die Künstlerin Adi Liraz mit den Teilnehmer*innen zum Sonnenblumenhaus in Rostock-Lichtenhagen, um dem dortigen Pogrom von 1992 bereits im Vorlauf des anstehenden Jahrestags zu gedenken. Dabei liest sie Gedichte von Semra Ertan, May Ayim und Rose Ausländer - alles Autorinnen, die auf ganz unterschiedliche Weise von rassistischer Gewalt betroffen waren. Diese Performance als ein aktuelles Beispiel literarischer Solidarisierung und praktizierter Gegenöffentlichkeit scheut nicht den historischen Vergleich: Schwarze Menschen, die in jüdischen Zeitschriften über Gemeinsamkeiten und Unterschiede von antischwarzem Rassismus und Antisemitismus publizieren; jüdische Orientalist:innen und Schriftsteller:innen, die das historische Narrativ der convivencia im muslimischen al-Andalus verwenden, um gegen antimuslimischen Rassismus wie auch Antisemitismus aufzutreten; vor dem Nationalsozialismus Geflüchtete, die afroamerikanische Literatur übersetzen und publizieren - von den vielen weiteren (antislawischen, antiziganistischen, etc.) Rassismen ganz zu schweigen.
Anhand von solchen Beispielen möchten wir im nächsten Workshop von undercurrents - Forum für linke Literaturwissenschaft in Kooperation mit dem Literaturforum im Brecht-Haus in Berlin über literarische Solidarität und über Formen und Praktiken antirassistischer Verbündungen diskutieren. Wir bitten um Beiträge, die der Frage nachgehen, inwiefern und wodurch die Produktion, Zirkulation und Rezeption von Literatur Perspektiven für gemeinsamen Widerstand und solidarische Bündnisse zwischen von Rassismen betroffenen Gruppen eröffnen. Im Fokus kann dabei z.B. die Frage stehen, auf welche Weise kollaboratives Schreiben und gemeinsame Narrative historisch und aktuell Resonanzräume gemeinsamer Emanzipationsprozesse verschiedener rassifizierter Gruppen eröffnen.
Wir schlagen u.a. folgende Ansätze und Fragestellungen vor:
1. Mit Michael Rothbergs Konzept der Multidirectional Memory (Rothberg 2009) ist die Verhandlung des Verhältnisses zwischen der Erinnerung verschiedener gewalttätiger und genozidaler Manifestationen von Rassismen zunehmend in das (literatur-)wissenschaftliche Interesse gerückt. In Anlehnung an Rothbergs Schwerpunkt auf Formen des Erinnerns laden wir zu unserem Workshop Vorschläge ein, die sich mit der kreativen Rolle der Literatur als gestaltendes Medium in Erinnerungskulturen befassen, sei es im Einklang mit der Multidirectional Memory und ihrem nicht-exklusiven Modell des öffentlichen Erinnerns oder in kritischer Auseinandersetzung mit diesem Ansatz wie z.B. dem Plädoyer für einen antifaschistischen Internationalismus von Kékesi/Zombory (2023) oder Monika Albrecht (2022) im Rekurs auf Orkun Erteners Roman Lebt (2014) und das Konzept der Entangled History). Das gemeinsame Schreiben an neuen Narrativen drückt sich dabei nicht nur in Fiktion aus. Besonders die Form des Essays, der die Prozesshaftigkeit intrinsisch ist, bietet eine Serialität im Streiten und Schreiben an, die transkulturell und transhistorisch aufgegriffen werden kann (bspw. bei Essayist:innen wie James Baldwin, Audre Lorde oder in jüngerer Zeit bei Jenny Zhang).
2. Unser Workshop konzentriert sich eher auf politische Verbündungen zwischen unterschiedlichen rassifizierten Gruppen als auf die sozialen und ideologischen Gemeinsamkeiten von Rassismen (wie etwa des antichinesischen Rassismus und des Antisemitismus etc.). In diesem Sinne suchen wir Beiträge, die sich mit konkreten literarischen Praktiken befassen, die unterschiedliche Formen von Bündnissen zur Geltung bringen bzw. artikulieren und problematisieren. Diese Bündnisse können sich auf Formen des situierten Universalismus stützen, wie sie bspw. von Nora Sternfeld (2022) vorgeschlagen wurden, oder auf Formen nicht-essentialistischer kultureller Identität, die zwischen verschiedenen Identitäten gebildet werden und durch die "Erfahrung einer tiefgreifenden Diskontinuität" (Hall, 2021, 227) verbunden sind. Sie können durch Erkundungen des Potenzials von Freundschaft als politische Ontologie gerahmt werden, wie es Claude Lanzmann durch die autobiografische Reflexion über seine Begegnungen mit Frantz Fanon vorschlägt (vgl. Lanzmann 2012; Sznaider 2022, 88-119)). Sie können auch feministische Formen der Intersektionalität und Sisterhood annehmen, wie u.a. in Reyhan Ṣahin aka Dr. Bitch Rays Yalla, Feminismus! (2023) oder in Pinar Tuzcus und Encarnación Gutiérrez Rodríguez’ (2021) Migrantischer Feminismus in der Frauen:bewegung in Deutschland (1985-2000)
3. Wir bitten um Beiträge, die sich mit der Koexistenz und Artikulation verschiedener Rassismuskonzepte und deren Einfluss auf unterschiedliche literarische Positionen und Schreibpraktiken beschäftigen. Diese können von materialistischen Begriffen des Rassismus (Hund 2022, Sarbo 2023) bis zu solchen reichen, die stattdessen davon ausgehen, dass eine gemeinsame antirassistische Politik bei der Identität ansetzen muss. Hierzu zählen zum Beispiel die Praktiken der Subjektwerdung durch Schreiben in der Tradition von bell hooks (1990) oder Grada Kilombas Konzept des Rassismus als verkörperte Erfahrung (2010). Letztendlich geht es um die Frage, welche (literarischen) Formen der Gegenaneignung Menschen aus einer marginalisierten Position ins Spiel bringen. Sie ist nicht zuletzt angesichts des zunehmenden Interesses an Praktiken autofiktionalen und autotheoretischen Schreibens von Relevanz. Es soll außerdem der Frage nachgegangen werden, inwiefern literarische, lyrische und performative Genres und Modi (bspw. Science und Speculative Fiction, Utopien/Dystopien, Historischer Roman, aber auch Lyrik und Theater) mit ihren spezifischen bedeutungsstiftenden Mitteln Gegenentwürfe und Solidaritäten zwischen Antirassismen verhandeln.
Vorschläge im Umfang von ca. einer halben Seite können bis zum 1. November 2023 an undercurrentsforum@gmx.de gerichtet werden.
Für den Workshop sind bis spätestens zum 10. Februar 2024 Paper einzureichen, die vorab allen Workshop-Teilnehmer*innen zur Verfügung gestellt und am 22. und 23. Februar im Literaturforum Brecht-Haus Berlin gemeinsam diskutiert werden. Die Paper sollen eine Länge von 3.000 Wörtern nicht überschreiten.
Die Beiträge werden in Undercurrents – Forum für linke Literaturwissenschaft publiziert. Die Redaktion behält sich eine Auswahl aus den Texten vor.
EN
Call for Abstracts (01.11.2023)
Workshop Mitstreiten: Literary Solidarity and Anti-Racist Alliances
Literaturforum im Brecht-Haus Berlin, February 22/23, 2024
In her public performance All memories flow into the sea (and out again), the artist Adi Liraz and further participants walk to the Sonnenblumenhaus in Rostock-Lichtenhagen to commemorate the pogrom of 1992 on the occasion of its upcoming day of rememberance. Liraz reads poems by Semra Ertan, May Ayim and Rose Ausländer - authors who have been affected by racist violence in different ways. This performance, as a current example of literary solidarity and practiced public opposition, easily finds historic correspondences: Black people who publish in Jewish magazines about the similarities and differences between anti-black racism and antisemitism; Jewish orientalists and writers who use the historical narrative of convivencia in Muslim al-Andalus to oppose both anti-Muslim racism and antisemitism; Refugees from National Socialism who translate and publish African-American literature – not to mention the many other forms of (anti-Slavic, antiziganist etc.) racism.
Departing from such examples, we want to discuss literary solidarity and forms and practices of anti-racist alliances in the next workshop organised by Undercurrents - Forum für linke Literaturwissenschaft in cooperation with Literaturforum im Brecht-Haus in Berlin. We ask for contributions that explore the question of how and by what means the production, distribution and reception of literature opens up perspectives for common resistance and solidary alliances between groups affected by racism. The focus may be, for example, on the question of how collaborative writing and shared narratives open up resonance spaces for joint emancipation processes of different racialised groups both historically and currently. We propose the following approaches and questions, among others:
1. With Michael Rothberg's concept of Multidirectional Memory (Rothberg 2009), the negotiation of the relationship between the memory of various violent and genocidal manifestations of racism has increasingly gained recognition in (literary) scholarship. Following Rothberg's focus on forms of remembrance, we invite suggestions that deal with the creative role of literature as a formative medium in cultures of remembrance, whether in line with the concept of multidirectional memory and its non-exclusive model of public remembrance or in critical examination of this approach, present for example, in the plea for an anti-fascist internationalism by Kékesi/Zombory (2023) or by Monika Albrecht (2022) in recourse to Orkun Ertener's novel Lebt (2014) and the concept of Entangled History. Collaborative writing of new narratives is not only possible in fiction. The form of the essay, to which processuality is intrinsic, appears especially qualified, since it offers seriality in arguing and writing that can be taken up transculturally and transhistorically (notable examples are essayists such as James Baldwin, Audre Lorde or, more recently, Jenny Zhang).
2. Our workshop focuses on political alliances between different racialised groups rather than on the social and ideological commonalities of racism (such as the similiarities between anti-Chinese racism and antisemitism, etc.). Therefore, we are looking for contributions that deal with specific literary practices that foreground, articulate and problematise different forms of alliances. These alliances can be based on forms of situated universalism, as proposed, e.g., by Nora Sternfeld (2022), or on forms of non-essentialist cultural identities but those linked by the "experience of profound discontinuity" (Hall, 2021, 227). They can be framed by explorations of the potential of friendship as a political ontology, as Claude Lanzmann proposes through autobiographical reflection on his encounters with Frantz Fanon (cf. Lanzmann 2012; Sznaider 2022, 88-119). They can also adopt feminist forms of intersectionality and sisterhood, such as in Reyhan Ṣahin aka Dr. Bitch Ray's Yalla, Feminismus! (2023) or in Pinar Tuzcus and Encarnación Gutiérrez Rodríguez' (2021) Migrantischer Feminismus in der Frauen:bewegung in Deutschland (1985–2000).
3. We invite contributions dealing with the coexistence and articulation of different concepts of racism and their influence on different literary positions and writing practices. These can range from materialistic notions of racism (Hund 2022, Sarbo 2023) to those that assume that a common anti-racist policy must start with identity. These include, for example, the practices of becoming through writing in the tradition of bell hooks (1990) or Grada Kilomba's concept of racism as embodied experience (2010). It is ultimately about the question which (literary) forms of counter-appropriation are put forward by people writing from marginalised positions. This appears particularly relevant considering the increasing interest in practices of autofictional and autotheoretical writing. In addition, we want to explore the question of how literary, lyrical and performative genres and modes (e.g. science and speculative fiction, utopias/dystopias, historical novels, but also poetry and theatre) negotiate counter-designs and solidarities between anti-racisms with their medially contingent meaning-making processes.
Proposals of approx. half a page can be sent to undercurrentsforum@gmx.de until November 1, 2023. Papers of max. 3000 words must be submitted for the workshop by February 10, 2024 and will be made available to all workshop participants in advance for a joint discussion on February 22 and 23 at Literaturforum im Brecht-Haus in Berlin. The articles will be published in Undercurrents – Forum für linke Literaturwissenschaft. The editors reserve the right to select from the submitted texts.
Albrecht, Monika (2022): Shared Histories in Multiethnic Societies. Literature as a Critical Corrective of Cultural Memory Studies. In: Journal of Literary Theory Vol 16(2), 309-330.
hooks, bell (1990): Homeplace. A Site in Resistance. In: Yearning: Race, Gender, and Cultural Politics. Boston: South End Press, 41-49.
Ertener, Orkun (2014): Lebt. Frankfurt a.M.: Fischer.
Hall, Stuart (2021): Cultural Identity and Diaspora. In: Selected Writings on Race and Difference. New York: Duke University Press, 257-271.
Hund, Wulf D. (2022): Marx and Haiti. Towards a Historical Materialist Theory of Racism. Berlin: LIT.
Kékesi, Zoltán/Máté Zombory (2023): Beyond multidirectional memory. Opening pathways to politics and solidarity. Memory Studies, https://journals.sagepub.com/doi/10.1177/17506980231176040
Kilomba, Grada (2010): Plantation Memories. Episodes of Everyday Racism. Münster: Unrast.
Lanzmann, Claude (2012): The Patagonian Hare. A Memoir. Bloomsbury: Atlantic Books.
Rothberg, Michael (2009): Multidirectional memory. Remembering the Holocaust in the age of decolonization. Stanford, California: Stanford University Press.
Ṣahin, Reyhan (2023): Yalla, Feminismus!. Berlin: Tropen.
Sarbo, Bafta (2023): Rassismus und gesellschaftliche Produktionsverhältnisse. Ein materialistischer Rassismusbegriff. In: Eleonora Roldàn Mendívil/Bafta Sarbo (Hrsg.): Zur Diversität der Ausbeutung. Zur Kritik des herrschenden Antirassismus. Berlin: Dietz, S. 37-63.
Sternfeld, Nora (2021): Situierter Universalismus. Warum der Partikularismus der Befreiung und der Universalismus, in den sie sich befreit, keine Gegensätze sind. In: Julian Warner (Hg.): After Europe. Beiträge zur dekolonialen Kritik. Berlin: Verbrecher, 67-92.
Sznaider, Natan (2022): Fluchtpunkte der Erinnerung. Über die Gegenwart von Holocaust und Kolonialismus. München: Hanser.
Tuzcu Pinar/Encarnación Gutiérrez Rodríguez (2021): Migrantischer Feminismus in der Frauen:bewegung in Deutschland (1985-2000). Münster: edition assemblage.
Über Adi Liraz Performance-Lesungen: https://www.heyalma.com/for-jewish-performance-artist-adi-liraz-history-is-something-you-can-wear/
Call for Abstracts (01.11.2023) Workshop Mitstreiten. Literarische Solidarität und anti-rassistische Verbündungen
Literaturforum im Brecht-Haus Berlin, 22./23.02.2024
In der Performance Alle Erinnerungen fließen ins Meer (und wieder raus) spaziert die Künstlerin Adi Liraz mit den Teilnehmer*innen zum Sonnenblumenhaus in Rostock-Lichtenhagen, um dem dortigen Pogrom von 1992 bereits im Vorlauf des anstehenden Jahrestags zu gedenken. Dabei liest sie Gedichte von Semra Ertan, May Ayim und Rose Ausländer - alles Autorinnen, die auf ganz unterschiedliche Weise von rassistischer Gewalt betroffen waren. Diese Performance als ein aktuelles Beispiel literarischer Solidarisierung und praktizierter Gegenöffentlichkeit scheut nicht den historischen Vergleich: Schwarze Menschen, die in jüdischen Zeitschriften über Gemeinsamkeiten und Unterschiede von antischwarzem Rassismus und Antisemitismus publizieren; jüdische Orientalist:innen und Schriftsteller:innen, die das historische Narrativ der convivencia im muslimischen al-Andalus verwenden, um gegen antimuslimischen Rassismus wie auch Antisemitismus aufzutreten; vor dem Nationalsozialismus Geflüchtete, die afroamerikanische Literatur übersetzen und publizieren - von den vielen weiteren (antislawischen, antiziganistischen, etc.) Rassismen ganz zu schweigen.
Anhand von solchen Beispielen möchten wir im nächsten Workshop von undercurrents - Forum für linke Literaturwissenschaft in Kooperation mit dem Literaturforum im Brecht-Haus in Berlin über literarische Solidarität und über Formen und Praktiken antirassistischer Verbündungen diskutieren. Wir bitten um Beiträge, die der Frage nachgehen, inwiefern und wodurch die Produktion, Zirkulation und Rezeption von Literatur Perspektiven für gemeinsamen Widerstand und solidarische Bündnisse zwischen von Rassismen betroffenen Gruppen eröffnen. Im Fokus kann dabei z.B. die Frage stehen, auf welche Weise kollaboratives Schreiben und gemeinsame Narrative historisch und aktuell Resonanzräume gemeinsamer Emanzipationsprozesse verschiedener rassifizierter Gruppen eröffnen.
Wir schlagen u.a. folgende Ansätze und Fragestellungen vor:
1. Mit Michael Rothbergs Konzept der Multidirectional Memory (Rothberg 2009) ist die Verhandlung des Verhältnisses zwischen der Erinnerung verschiedener gewalttätiger und genozidaler Manifestationen von Rassismen zunehmend in das (literatur-)wissenschaftliche Interesse gerückt. In Anlehnung an Rothbergs Schwerpunkt auf Formen des Erinnerns laden wir zu unserem Workshop Vorschläge ein, die sich mit der kreativen Rolle der Literatur als gestaltendes Medium in Erinnerungskulturen befassen, sei es im Einklang mit der Multidirectional Memory und ihrem nicht-exklusiven Modell des öffentlichen Erinnerns oder in kritischer Auseinandersetzung mit diesem Ansatz wie z.B. dem Plädoyer für einen antifaschistischen Internationalismus von Kékesi/Zombory (2023) oder Monika Albrecht (2022) im Rekurs auf Orkun Erteners Roman Lebt (2014) und das Konzept der Entangled History). Das gemeinsame Schreiben an neuen Narrativen drückt sich dabei nicht nur in Fiktion aus. Besonders die Form des Essays, der die Prozesshaftigkeit intrinsisch ist, bietet eine Serialität im Streiten und Schreiben an, die transkulturell und transhistorisch aufgegriffen werden kann (bspw. bei Essayist:innen wie James Baldwin, Audre Lorde oder in jüngerer Zeit bei Jenny Zhang).
2. Unser Workshop konzentriert sich eher auf politische Verbündungen zwischen unterschiedlichen rassifizierten Gruppen als auf die sozialen und ideologischen Gemeinsamkeiten von Rassismen (wie etwa des antichinesischen Rassismus und des Antisemitismus etc.). In diesem Sinne suchen wir Beiträge, die sich mit konkreten literarischen Praktiken befassen, die unterschiedliche Formen von Bündnissen zur Geltung bringen bzw. artikulieren und problematisieren. Diese Bündnisse können sich auf Formen des situierten Universalismus stützen, wie sie bspw. von Nora Sternfeld (2022) vorgeschlagen wurden, oder auf Formen nicht-essentialistischer kultureller Identität, die zwischen verschiedenen Identitäten gebildet werden und durch die "Erfahrung einer tiefgreifenden Diskontinuität" (Hall, 2021, 227) verbunden sind. Sie können durch Erkundungen des Potenzials von Freundschaft als politische Ontologie gerahmt werden, wie es Claude Lanzmann durch die autobiografische Reflexion über seine Begegnungen mit Frantz Fanon vorschlägt (vgl. Lanzmann 2012; Sznaider 2022, 88-119)). Sie können auch feministische Formen der Intersektionalität und Sisterhood annehmen, wie u.a. in Reyhan Ṣahin aka Dr. Bitch Rays Yalla, Feminismus! (2023) oder in Pinar Tuzcus und Encarnación Gutiérrez Rodríguez’ (2021) Migrantischer Feminismus in der Frauen:bewegung in Deutschland (1985-2000)
3. Wir bitten um Beiträge, die sich mit der Koexistenz und Artikulation verschiedener Rassismuskonzepte und deren Einfluss auf unterschiedliche literarische Positionen und Schreibpraktiken beschäftigen. Diese können von materialistischen Begriffen des Rassismus (Hund 2022, Sarbo 2023) bis zu solchen reichen, die stattdessen davon ausgehen, dass eine gemeinsame antirassistische Politik bei der Identität ansetzen muss. Hierzu zählen zum Beispiel die Praktiken der Subjektwerdung durch Schreiben in der Tradition von bell hooks (1990) oder Grada Kilombas Konzept des Rassismus als verkörperte Erfahrung (2010). Letztendlich geht es um die Frage, welche (literarischen) Formen der Gegenaneignung Menschen aus einer marginalisierten Position ins Spiel bringen. Sie ist nicht zuletzt angesichts des zunehmenden Interesses an Praktiken autofiktionalen und autotheoretischen Schreibens von Relevanz. Es soll außerdem der Frage nachgegangen werden, inwiefern literarische, lyrische und performative Genres und Modi (bspw. Science und Speculative Fiction, Utopien/Dystopien, Historischer Roman, aber auch Lyrik und Theater) mit ihren spezifischen bedeutungsstiftenden Mitteln Gegenentwürfe und Solidaritäten zwischen Antirassismen verhandeln.
Vorschläge im Umfang von ca. einer halben Seite können bis zum 1. November 2023 an undercurrentsforum@gmx.de gerichtet werden.
Für den Workshop sind bis spätestens zum 10. Februar 2024 Paper einzureichen, die vorab allen Workshop-Teilnehmer*innen zur Verfügung gestellt und am 22. und 23. Februar im Literaturforum Brecht-Haus Berlin gemeinsam diskutiert werden. Die Paper sollen eine Länge von 3.000 Wörtern nicht überschreiten.
Die Beiträge werden in Undercurrents – Forum für linke Literaturwissenschaft publiziert. Die Redaktion behält sich eine Auswahl aus den Texten vor.
EN
Call for Abstracts (01.11.2023)
Workshop Mitstreiten: Literary Solidarity and Anti-Racist Alliances
Literaturforum im Brecht-Haus Berlin, February 22/23, 2024
In her public performance All memories flow into the sea (and out again), the artist Adi Liraz and further participants walk to the Sonnenblumenhaus in Rostock-Lichtenhagen to commemorate the pogrom of 1992 on the occasion of its upcoming day of rememberance. Liraz reads poems by Semra Ertan, May Ayim and Rose Ausländer - authors who have been affected by racist violence in different ways. This performance, as a current example of literary solidarity and practiced public opposition, easily finds historic correspondences: Black people who publish in Jewish magazines about the similarities and differences between anti-black racism and antisemitism; Jewish orientalists and writers who use the historical narrative of convivencia in Muslim al-Andalus to oppose both anti-Muslim racism and antisemitism; Refugees from National Socialism who translate and publish African-American literature – not to mention the many other forms of (anti-Slavic, antiziganist etc.) racism.
Departing from such examples, we want to discuss literary solidarity and forms and practices of anti-racist alliances in the next workshop organised by Undercurrents - Forum für linke Literaturwissenschaft in cooperation with Literaturforum im Brecht-Haus in Berlin. We ask for contributions that explore the question of how and by what means the production, distribution and reception of literature opens up perspectives for common resistance and solidary alliances between groups affected by racism. The focus may be, for example, on the question of how collaborative writing and shared narratives open up resonance spaces for joint emancipation processes of different racialised groups both historically and currently. We propose the following approaches and questions, among others:
1. With Michael Rothberg's concept of Multidirectional Memory (Rothberg 2009), the negotiation of the relationship between the memory of various violent and genocidal manifestations of racism has increasingly gained recognition in (literary) scholarship. Following Rothberg's focus on forms of remembrance, we invite suggestions that deal with the creative role of literature as a formative medium in cultures of remembrance, whether in line with the concept of multidirectional memory and its non-exclusive model of public remembrance or in critical examination of this approach, present for example, in the plea for an anti-fascist internationalism by Kékesi/Zombory (2023) or by Monika Albrecht (2022) in recourse to Orkun Ertener's novel Lebt (2014) and the concept of Entangled History. Collaborative writing of new narratives is not only possible in fiction. The form of the essay, to which processuality is intrinsic, appears especially qualified, since it offers seriality in arguing and writing that can be taken up transculturally and transhistorically (notable examples are essayists such as James Baldwin, Audre Lorde or, more recently, Jenny Zhang).
2. Our workshop focuses on political alliances between different racialised groups rather than on the social and ideological commonalities of racism (such as the similiarities between anti-Chinese racism and antisemitism, etc.). Therefore, we are looking for contributions that deal with specific literary practices that foreground, articulate and problematise different forms of alliances. These alliances can be based on forms of situated universalism, as proposed, e.g., by Nora Sternfeld (2022), or on forms of non-essentialist cultural identities but those linked by the "experience of profound discontinuity" (Hall, 2021, 227). They can be framed by explorations of the potential of friendship as a political ontology, as Claude Lanzmann proposes through autobiographical reflection on his encounters with Frantz Fanon (cf. Lanzmann 2012; Sznaider 2022, 88-119). They can also adopt feminist forms of intersectionality and sisterhood, such as in Reyhan Ṣahin aka Dr. Bitch Ray's Yalla, Feminismus! (2023) or in Pinar Tuzcus and Encarnación Gutiérrez Rodríguez' (2021) Migrantischer Feminismus in der Frauen:bewegung in Deutschland (1985–2000).
3. We invite contributions dealing with the coexistence and articulation of different concepts of racism and their influence on different literary positions and writing practices. These can range from materialistic notions of racism (Hund 2022, Sarbo 2023) to those that assume that a common anti-racist policy must start with identity. These include, for example, the practices of becoming through writing in the tradition of bell hooks (1990) or Grada Kilomba's concept of racism as embodied experience (2010). It is ultimately about the question which (literary) forms of counter-appropriation are put forward by people writing from marginalised positions. This appears particularly relevant considering the increasing interest in practices of autofictional and autotheoretical writing. In addition, we want to explore the question of how literary, lyrical and performative genres and modes (e.g. science and speculative fiction, utopias/dystopias, historical novels, but also poetry and theatre) negotiate counter-designs and solidarities between anti-racisms with their medially contingent meaning-making processes.
Proposals of approx. half a page can be sent to undercurrentsforum@gmx.de until November 1, 2023. Papers of max. 3000 words must be submitted for the workshop by February 10, 2024 and will be made available to all workshop participants in advance for a joint discussion on February 22 and 23 at Literaturforum im Brecht-Haus in Berlin. The articles will be published in Undercurrents – Forum für linke Literaturwissenschaft. The editors reserve the right to select from the submitted texts.
Albrecht, Monika (2022): Shared Histories in Multiethnic Societies. Literature as a Critical Corrective of Cultural Memory Studies. In: Journal of Literary Theory Vol 16(2), 309-330.
hooks, bell (1990): Homeplace. A Site in Resistance. In: Yearning: Race, Gender, and Cultural Politics. Boston: South End Press, 41-49.
Ertener, Orkun (2014): Lebt. Frankfurt a.M.: Fischer.
Hall, Stuart (2021): Cultural Identity and Diaspora. In: Selected Writings on Race and Difference. New York: Duke University Press, 257-271.
Hund, Wulf D. (2022): Marx and Haiti. Towards a Historical Materialist Theory of Racism. Berlin: LIT.
Kékesi, Zoltán/Máté Zombory (2023): Beyond multidirectional memory. Opening pathways to politics and solidarity. Memory Studies, https://journals.sagepub.com/doi/10.1177/17506980231176040
Kilomba, Grada (2010): Plantation Memories. Episodes of Everyday Racism. Münster: Unrast.
Lanzmann, Claude (2012): The Patagonian Hare. A Memoir. Bloomsbury: Atlantic Books.
Rothberg, Michael (2009): Multidirectional memory. Remembering the Holocaust in the age of decolonization. Stanford, California: Stanford University Press.
Ṣahin, Reyhan (2023): Yalla, Feminismus!. Berlin: Tropen.
Sarbo, Bafta (2023): Rassismus und gesellschaftliche Produktionsverhältnisse. Ein materialistischer Rassismusbegriff. In: Eleonora Roldàn Mendívil/Bafta Sarbo (Hrsg.): Zur Diversität der Ausbeutung. Zur Kritik des herrschenden Antirassismus. Berlin: Dietz, S. 37-63.
Sternfeld, Nora (2021): Situierter Universalismus. Warum der Partikularismus der Befreiung und der Universalismus, in den sie sich befreit, keine Gegensätze sind. In: Julian Warner (Hg.): After Europe. Beiträge zur dekolonialen Kritik. Berlin: Verbrecher, 67-92.
Sznaider, Natan (2022): Fluchtpunkte der Erinnerung. Über die Gegenwart von Holocaust und Kolonialismus. München: Hanser.
Tuzcu Pinar/Encarnación Gutiérrez Rodríguez (2021): Migrantischer Feminismus in der Frauen:bewegung in Deutschland (1985-2000). Münster: edition assemblage.
Über Adi Liraz Performance-Lesungen: https://www.heyalma.com/for-jewish-performance-artist-adi-liraz-history-is-something-you-can-wear/