Materialistische Ansätze haben in den letzten Jahren in der Literaturwissenschaft eine neue Bedeutung erlangt, die in Abgrenzung vom ‚lingustic turn‘ bereits zur Rede von einem ‚material turn‘ geführt hat. In ihrem Fokus stehen Verhältnisse zwischen literarischen Texten und ihrer Materialität, und damit auch (materielle) Praktiken, welche die Literatur bzw. Literaturwissenschaft kennzeichnen. Durch den hiermit einhergehenden Perspektivwechsel widmet sich die Forschung zunehmend Gegenständen, die bislang in der Literaturwissenschaft nicht oder kaum berücksichtigt wurden: Körpern und deren vergeschlechtlichten Dimensionen, nicht-menschlichen Materialitäten wie Rohstoffen, Atomen, Nanopartikeln oder schlicht der empirischen Materialität von Schreibtischen, typographischen Merkmalen oder auch Schreibpraktiken in der Literatur bzw. der Literaturwissenschaft. Schon diese kurze Aufzählung der Untersuchungsfelder für neue materialistische Ansätze zeigt, dass der ‚material turn‘ ebenso heterogene Methoden wie Gegenstände unter einem Begriff vereint. Von linker Seite ist ein neuer Materialismus grundsätzlich zu begrüßen, weil er potentiell an ältere marxistisch‑materialistische Debatten anschließt, die im deutschsprachigen Raum zuletzt in den 1970er Jahren eine Blütezeit erlebten, und da die Kritik der gesellschaftlichen Zurichtung von Körpern, der globalen Ressourcenverteilung oder der versagenden Umweltpolitik ein genuin linkes Projekt darstellt. Aber sind die bisher dominierenden ‚neuen Materialismen‘ tatsächlich explizit politisch? Und wenn sie das wären, sind sie dann auch noch ‚links‘ positioniert? Oder läuft der Bezug zum konkreten Material nicht vielmehr Gefahr, einem positivistischen Ding‑Fetischismus zu verfallen, der allein deshalb eine gewisse Überzeugungskraft besitzt, weil er im Kontrast zu lange Jahre den literaturwissenschaftlichen Diskurs bestimmenden konstruktivistischen Theoriedebatten steht, also bloß dem Innovations-Imperativ einer kompetitiven Wissenschaftspolitik entspricht? Vor diesem Hintergrund erscheinen uns zum Beispiel folgende Fragestellungen für Beiträge zur nächsten Ausgabe von Undercurrents besonders fruchtbar: In welchem Ausmaß thematisieren Arbeiten aus dem Umfeld der ‚neuen Materialismen‘ gesellschaftliche Verhältnisse? In welcher Beziehung stehen sie zu älteren materialistischen Theorie-Angeboten? Wird ihre eigene politische Situierung reflektiert oder nicht? Neigen sie gar dazu, das materialistische ‚linke Erbe‘ auszublenden zugunsten eines Anscheins sowohl von Innovation als auch von ‚neutraler‘ Wissenschaft? Und inwiefern können Ansätze, die materielle Praktiken untersuchen, zugleich Textstrukturen, soziale Verhältnisse und deren wechselseitige Bedingtheit begreifen? Gerade angesichts des globalen Erstarkens rechter und faschistischer Politik stellen sich Fragen nach der politischen Dimension neuerer literaturwissenschaftlicher Ansätze umso dringlicher. Wir begrüßen daher insbesondere Beiträge, die die derzeitige Konjunktur neuer Materialismen auf ihr emanzipatorisches Potenzial hin untersuchen, politische Anknüpfungspunkte an derartige Ansätze ausloten oder eine politische Kritik neuer Materialismen formulieren. Vorschläge für Beiträge zum Thema „Neue Materialismen“ (infrage kommen sowohl Aufsätze, Essays, Rezensionen oder Polemiken) von maximal einer DIN-A4-Seite können bis zum 20.1.2018 an unsere E‑Mailadresse undercurrentsforum@gmx.de geschickt werden. Über die Annahme der Abstracts entscheidet die Redaktion bis zum 12.2.2018. Der Abgabetermin für die fertigen Beiträge im Umfang von maximal 3000 Wörtern wird der 20.3.2018 sein. Die Redaktion behält sich eine Auswahl aus den eingesandten Texten vor. Undercurrents – Forum für linke Literaturwissenschaft fragt seit 2012 nach dem Verhältnis von Literatur, Literaturwissenschaft und emanzipatorischen Bewegungen. Der Blog versteht sich als Debattenforum für linke Literaturwissenschaftler_innen und Interessierte. Mit Schwerpunktthemen wollen wir in regelmäßigen Abständen (ca. alle 6 Monate) Diskussionsanstöße liefern. Aktuelle wie ältere Beiträge finden sich unter der URL: https://undercurrentsforum.com Redaktion Undercurrents, Berlin/Göttingen/New York, Dezember 2017.